Eine Begegnung im Park
Sie sagt: „Ich muss noch oft an ihn denken.“ Und lächelt. Wir treffen uns auf einer Parkbank, sie mit ihrer Zeitung, ich mit meinem Kaffee. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Spaziergang am Sonntagmorgen werden. Stattdessen traf ich diese ältere Frau. Ganz zufällig. Eine Begegnung, die ich so schnell nicht vergessen werde. Sie schaut zum leeren Spielplatz. „Ich komme öfters hierher. Eigentlich jeden Morgen.“ Dann legt sie ihre Zeitung zur Seite. Ihre Finger sind zart trotz der vielen Falten, ihre Augen leuchten, als sie anfängt zu sprechen. Trotz ihren Alters hat sie ihre Lebensfreude nicht verloren. Sie erzählt mir, wie sie in der Grundschule ihre große Liebe kennengelernt hat. Schon damals hätten die Eltern gesagt, sie würden heiraten. Mit 17 dann ging er zum studieren nach Hamburg mit dem Versprechen er würde wieder nach Berlin zurückkommen um sie zu heiraten. Zu Beginn schrieben sie sich regelmäßig Briefe. Doch nach zwei Jahren kamen die Briefe immer wieder zurück und dann verschwand er. „Ich wusste nicht, ob er die Briefe nicht lesen wollte oder ob die Adresse sich geändert hatte. Ich hörte nicht auf zu schreiben.“ Nur leider vergeblich, denn er antwortete nicht. Es vergingen fünf Jahre, in denen sie gewartet hatte und schließlich gab sie die Hoffnung auf. „Ich war mir sicher, dass er nun eine neue Frau in Hamburg traf und dass mit uns keine Zukunft mehr hatte.“ Sie begann ein neues Leben, lernte einen neuen Mann kennen und bekam zwei Kinder. „Natürlich konnte ich ihn nicht vergessen. Dennoch war ich glücklich. Wir kauften uns eine Wohnung unweit vom Helmholtzplatz.
Ich habe zwei ganz wunderbare Kinder, die ganz beschäftigt sind. Aber mein ist inzwischen Mann verstorben.“ Ich halte inne. Eine Weile sitzen wir da und warten, bis die erste Bewegung im Park einkehrt. Es ist noch bewölkt, recht trüb so früh am Morgen. Die ersten Jogger laufen vorbei, die ersten Hundebesitzer spazieren müde über den Gehsteig. Sie zögert und schaut zu mir. Ihr Blick ist konzentriert und vertieft: „Vor zwei Jahren sah ich ihn wieder, tatsächlich hier in Berlin.“ „Wen?“ frage ich irritiert. „Na den verschollenen Mann.“ Sie lacht. „Es war ein Morgen wie dieser. Ich saß im Park und sah ihn. Kennen Sie das? Wenn Ihnen der Atem wegbleibt und Sie eine Art Ohnmacht durchfährt?“ Sie nimmt die Zeitung und faltet sie ganz ordentlich zusammen in ihre braune Ledertasche. Dann nimmt sie die Brille ab und legt es in ihr silbernes Brillenetui. Sie lässt sich Zeit. Und spannt mich noch mehr auf die Folter. „Er sah noch genauso aus wie damals. Ich habe ihn schon von Weitem erkannt. Er hat sich überhaupt nicht verändert.“ Dann schließt sie den Verschluss ihrer Tasche und blickt verträumt zur Seite. Ihr weißes Haar war zu einem hohen Zopf zusammengebunden, ihr langer, schwarzer Mantel sah so grazil und elegant an ihr aus. „Ich rief ihm zu: Du bist 53 Jahre, zwei Kinder und ein verstorbenen Ehemann zu spät. “ Dann lacht sie wieder. Vor Aufregung frage ich ganz entsetzt: „Aber warum hat er Sie so lange warten lassen?“. Sie macht eine längere Pause.
„Um ehrlich zu sein, ich habe nicht mehr nachgefragt.“
Ich wurde immer aufgelöster:„Aber sie haben doch so lange auf ihn gewartet. Hat er sich denn nicht erklärt?“ „Er war mit seiner Frau und seinen Enkeln da. Die Erklärungen sind doch sowieso zu spät. Er kehrte tatsächlich wieder nach Berlin. Verheiratet, glücklich. So wie ich es mir gedacht hatte. Doch irgendwas war da in der Luft. Er hat es auch gespürt. Wir sahen uns an und ich dachte verdammt! Ich bin genauso verliebt wie damals, als ich siebzehn war. Wir trafen uns noch ein paar Mal zum Wein und zum Essen. Immer mit seiner Frau. Ich denke, wir wurden so was wie Freunde.“ Sie schüttelte den Kopf und seufzte: „Nach all den Jahren rief er dasselbe Gefühl in mir hervor wie damals.“ Der Park füllte sich allmählich. Nun spürte man die Lebendigkeit der viel beschäftigten Stadt. „Er starb vor Kurzem. Seine Frau rief mich an. An seinem Grab sagte ich ihm neulich, was für ein Vollpfosten er doch sei.“ Ich wusste nicht recht, ob ich lachen sollte, entschied mich aber für ein leichtes Lächeln. Witzig, wie das Schicksal manchmal spielt. „Es sollte wohl nicht sein. Was mir bleibt sind nur noch warme, schöne Erinnerungen an ihn.“ Erwidert sie. Ich verweile noch einen Augenblick auf der Parkbank. Beobachte die Mütter mit ihren Kindern. Ich habe genau das Gleiche gedacht. In dem Moment, als ich es ihr sagen wollte, merke ich, wie sie in der Zwischenzeit verschwand. Was mir bleibt, ist nur noch die Erinnerung an unsere Parkbegegnung.
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